Gastkolumne Arno von Rosen: "Sind SIE gefährlich? "

 Arno von Rosen
Nein, dieses Mal sind Sie auf dem Holzweg. Ich rede nicht von Terrorismus oder überhaupt von offener Gewalt in der Öffentlichkeit. Denn ob Sie zu den gefährlichen Menschen gehören, werden Sie im Laufe dieses Artikels selber entscheiden. Worum geht es überhaupt? 

Wir plaudern ein wenig über Ihr Konsumverhalten (Lebenshaltungskosten) und wohin Ihre Tendenz geht. Forschungen auf diesem Gebiet gibt es strategisch seit Ende der 70er Jahre und hatte den Zweck unsere Gesellschaft in Kaufgruppen einzuteilen, natürlich nicht zum Spaß, sondern damit Unternehmen Produkte entwickeln können, die am Markt eine Chance haben. Inzwischen sind diese Studien komplizierter geworden und hunderte von Seiten lang, deshalb versuche ich es in kurze Worte zu fassen. 

 Angebot
Die Entwicklung der Gesellschaft war in den 70ern sehr vorhersagbar. Je nach Schulabschluss wurde eine Lehre absolviert, ein Studium begonnen oder der Industrie. und Gewerbemarkt mit frischen Arbeitskräften versehen. Die Kaufkraft hing also unmittelbar vom sozialen Umfeld und den persönlichen Wurzeln des Einzelnen ab. Es war also klar, wem eine Altersvorsorge angeboten werden konnte, welche Schicht für normale oder Luxus Fahrzeuge in Frage kam oder wohin der Urlaub gehen konnte. Seit der Jahrtausendwende haben sich grundlegende Parameter verändert. Warum?

Zum Einem liegt es am demographischen Faktor (ein echtes Unwort für mich) oder auf Deutsch, die Überalterung unserer Gesellschaft, laut oft bemühter Statistik. Indes ist die Lebenserwartung von Versicherungen rein willkürlich angehoben worden (teilweise auf weit über 90 Jahre), um Produkte verkaufen zu können, die sinnlos wären, würde man nur etwa 78 Jahre alt. Warum werden wir plötzlich alle viel älter? Werden wir nicht, denn diese ganzen Statistiken sind linear, sie gehen also von Unveränderlichkeiten aus, die es in der Natur nicht gibt, wie altersbedingte Krankheiten, Stressfaktoren, Zukunftsaussichten usw. Wir haben zwar alte Krankheiten verdrängt, aber Neue hinzu bekommen, gegen die es noch keine Lösung gibt oder auch geben kann, wie beim Stress im Alltag.

 Indian Man
Gerne wird auch die reduzierte Arbeitszeit angeführt und den immensen Zuwachs an Freizeit. Wirklich? Nie haben Menschen so effektiv in Deutschland gearbeitet wie derzeit und das weltweit. Wir schaffen, natürlich auch mit Hilfe von Technologie, alles an Leistung aus uns herauszuholen was nur möglich ist. Fragen Sie gerne Ihren Arzt, denn das ist natürlich weder gesund, noch lebenszeitverlängernd. Allerdings ist das unbeschwerte Alter nach der Arbeit oft nur noch ein kurzer Traum und endet, dank der Individualisierung unserer Gesellschaft, im Pflegeheim, denn die Familie von früher wohnt entweder woanders oder existiert schlichtweg nicht mehr. Was hat das mit Konsum zu tun? 

Menschen gleichen Milieus sind nicht länger gleich in ihrer Entwicklung. Frauen gleichen Alters können Abitur, Studium, Mann, Kinder und Jobs haben, aber einen völlig anderen Lebensplan verfolgen, also viel schwerer zu ergreifen, um entsprechende Produkte und Marketing dafür zu machen. Das betrifft jeden Bereich, sowohl Lebensmittel, als auch Einrichtung, Bekleidung, Reisen, Umweltverhalten, soziale Kompetenz, politische Ausrichtung (nur ein Grund für den langsamen Verfall der Volksparteien) oder Kindererziehung. Damit muss ein Produkt nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen vermarktet werden (TV, Zeitung, Internet), sondern es muss sich an ganz neuen Zielgruppen orientieren. 

 Konsumentwicklung
Was sind die Zielgruppen? Grob eingeteilt wurde es früher nach Alter und da war die begehrteste Zielgruppe Familien und deren Geldverdiener zwischen 30 und 45, später bis 50. Danach ließen die Konsumwünsche rapide nach, denn die Kinder waren meistens aus dem Haus, alle Anschaffungen getätigt und das übrige Geld gerne angespart oder in Reisen und sonstige Hobbies investiert. Um sich die Zielgruppen besser vorstellen zu können,  bringt die Wirtschaft gerne Rabattkarten in den Umlauf, denn dann ist zumindest klar, wer wie häufig welche Produkte kauft, wie viel Geld ausgegeben wird und damit durchschnittlich zu Verfügung steht und natürlich die personenbezogenen Daten die der Karte zugrunde liegen. Nach Auswertung der Daten verschwinden Produkte entweder ganz aus den Regalen oder werden geändert, um wieder marktfähig zu sein. Und was ist heute? 

Wen wundert es noch? Studenten, Arbeitslose und Rentner führen die Liste der Kaufkraftschwachen an. Bei Studenten leicht zu verschmerzen, denn sie stehen noch vor einem großen Konsumleben. Arbeitslose sind schlecht für den Konsum und drücken auch noch auf die Sozialausgaben und sind damit mies für jede Statistik und werden gerne aus diesem Grund hinausgefälscht. Rentner sind nicht neu in dieser Kaufkrafttabelle, aber der Platz hat sich über die Jahre stetig verschlechtert und wird noch hinter die Arbeitslosen, möglicherweise sogar an den Studenten vorbei ziehen. Ist das aufzuhalten? 

Nein, denn die auslösende Politik und Gesellschaftsform dafür wurde bereits vor Jahrzehnten verändert und es benötigt Generationen dieses Zustand nur annähernd zu erreichen. Dagegen stehen dann die Interessen der anderen starken Kaufkraftgruppen, denn keine möchte auf ihre lieben Gewohnheiten und Möglichkeiten verzichten. Spitzenreiter sind übrigens Beamte, vor Selbstständigen und Pensionären. 

 Rentnerin
Was für eine Gruppe ist denn gefährlich? Jede Gruppe, sofern sie ungeplant den Konsum verweigert, ihr übrig gebliebenes Geld ebenso wenig spart wie ausgibt, sondern einfach behält. Zurzeit ergibt sparen überhaupt keinen Sinn, Geld wird aber trotzdem nur für mehr Spaß ausgegeben und in Kommunikation (Mobiltelefone, PC & Co.), Reisen oder Inventar ausgegeben. Letzteres auch, weil die Industrie seit Jahren Schwachstellen in Elektrogeräte (Obsolezenz) einbaut, damit regelmäßig neu angeschafft werden muss. Dies funktioniert natürlich auch bei Software und wird sogar von Apple gemacht, die per Software update ältere Geräte künstlich verlangsamt, damit der "Wunsch" nach einem neuen und schnelleren Gerät des Hauses im Konsumenten keimt. 

Verlierer sind hier eindeutig Bildung und Gesundheit, für die unsere Ausgaben rückläufig sind. Völlig ungenutzt sind derzeit ethnische Bevölkerungsgruppen, allen voran Türken und Russen, auf die noch keine oder nur sehr wenige Produkte abgestimmt werden, obwohl eine Kaufkraft vorhanden ist. Jetzt können Sie vielleicht besser einschätzen,  ob Sie für die neuen, tollen und innovativen Produkte der Zukunft gefährlich oder ein Segen für jeden Produzenten sind. 

Es grüßt Sie Ihr grübelnder Arno von Rosen, Buchautor, Kolumnist und latent gefährlicher Konsument. Bleiben Sie interessiert, vielfältig und sehen Sie von ganz billigem Zeug ab, denn Sie werden in Zukunft zu arm sein, um sich Schrott leisten zu können.



3 Kommentare:

  1. Lieber Arno, wie immer ein brillianter Artikel, in der Du die Dinge auf den Punkt bringst, wobei natürlich der Grund der gefüllten Altenheime auch in der Verdopplung der Lebenserwartung in den letzten 150 Jahre (1910 lag die Lebenserwartung bei Männern noch bei 44,8 Jahren!)sowie an dem heute deutlich gesteigerten Pflegeanspruch zu sehen ist ;-). Aber das nur nebenbei... Alles Liebe und einen wunderschönen Spätsommer, Nessy

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  2. Lieber Arno, wie immer ein brillianter Artikel, in der Du die Dinge auf den Punkt bringst, wobei natürlich der Grund der gefüllten Altenheime auch in der Verdopplung der Lebenserwartung in den letzten 150 Jahre (1910 lag die Lebenserwartung bei Männern noch bei 44,8 Jahren!)sowie an dem heute deutlich gesteigerten Pflegeanspruch zu sehen ist ;-). Aber das nur nebenbei... Alles Liebe und einen wunderschönen Spätsommer, Nessy

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