Gastkolumne Arno von Rosen: Die Muse kommt …

… längst nicht zu jedem, aber das wissen Sie ja sicherlich schon. Wobei ein Musenkuss natürlich nicht nur für Künstler vorbehalten ist, sondern auch Büromenschen, Handwerker, Ärzte oder Forscher heimsuchen kann. Eben immer, wenn jemand die Beschäftigung findet, die einen erfüllt und trotzdem immer weiter nach vorne treibt. Diesen Zustand empfinden wir dann nicht als Stress, weil nur Glückshormone ausgeschüttet werden, welche uns eher in einen Lichttunnel versetzen, aus dem wir erst nach getaner Aufgabe herausfinden, oder die Unterzuckerung massiv nach Energie verlangt. Mir selbst war es vergönnt, bereits in Kindertagen eine meiner Musen zu finden, denn beim Zeichnen vergesse ich die Welt um mich und durch diese Leidenschaft entdeckte ich sogar noch weitere Musen für mich. Dennoch berichte ich heute von einem Mann, den seine Muse erst in späten Jahren gefunden hat, dann aber mit aller Gewalt. Es geht um meinen Freund Holger (Fotografie #Holger_Langmaier), den ich seit 30 Jahren kenne und dem ich diese Entwicklung eigentlich nicht zugetraut hätte.-

 Holger Langmaier
Als ich Holger kennen gelernt habe, war er gerade einmal 12 Jahre alt. Ein Zeitpunkt im Leben, in dem man noch alles werden kann, was einem so im Kopf rum geht, zumindest ist das die allgemeine Annahme. Dennoch entwickelte sich sein Werdegang so gradlinig wie es sich viele Eltern wünschen. Schreinerlehre und ein Händchen für das Material, Einsatzbereitschaft, Fleiß, Zuverlässigkeit, eben alles was sich Arbeitgeber wünschen. Nur eines blieb für meinen Freund auf der Strecke: Menschlichkeit. Mag es daran liegen, dass er bereits als Teenager Vollweise wurde oder er aber eine Ader für soziale Tätigkeiten hatte, kann ich nicht so genau sagen, auf jeden Fall wechselte er komplett sein Umfeld und verschrieb sich der Pflege von Menschen. 

Hier war er erst zufrieden, als er sein Examen in der Tasche und einen Arbeitgeber gefunden hatte, der ihn so einsetzte wie er es sich gewünscht hat, ob auf der Unfallchirurgie, oder jedem anderen Bereich einer Klinik. Zu diesem Zeitpunkt trat das größte Glück in Holgers Leben. Seine kleine niedliche Tochter, die wir der Einfachheit halber nur Goldstück nennen (und weil sie eines ist), blond gelockt, blaue Augen, mutig, entschlossen, neugierig und ein wenig tanzverrückt.

Leider unterbrach ein Schicksalsschlag diese Harmonie und fort an verbrachte dieser so ruhige, unbeirrbare Mann seine Tage und Nächte im Krankenhaus am Bett seines Lieblings. Er schlief auf den Stühlen, eignete sich Arztwissen an, wachte über alles, korrigierte selbst die Stationsärzte und verdiente sich nicht nur meinen Respekt. Er klagte nie, nichts war zu viel, alles war immer machbar, gab die Hoffnung nie auf, selbst als die Familie schon an Abschied dachte und zusammen schaffte die kleine Einheit aus zwei Menschen das kleine Wunder, welches Münchhausen nie vollbracht hatte. 

Sie zogen sich an den eigenen Haaren wieder aus dem schwarzen Loch des Lebens heraus. Was jetzt so glatt klingt,  war ein Prozess über Jahre, der sein bisheriges Dasein komplett umkrempelte. Um sich mehr seiner Tochter widmen zu können, wechselte er Wohnung, Arbeitsstelle und krempelte seine geplante Zukunft auf Links. Sein bisheriges Hobby - Sport - war nun so nicht mehr möglich und er beschäftigte sich mit Fotografie. Wie die meisten von uns hat er natürlich auch vorher schon auf den Auslöser gedrückt, im Urlaub zumeist, aber eben ohne Ambitionen. Dies änderte sich nun radikal.

Holger kaufte sich eine neue Kamera, wollte alles darüber wissen, probierte aus und entdeckte einen anderen Blickwinkel seiner Umwelt. Bald wurde ihm sein erster Fotoapparat zu unfunktional und er wechselte nun häufiger die Modelle. Ich fotografierte damals schon für die Elterninitiative in Marburg, welche auch Goldstück unterstützt hatte und ich mit Rezepten Spenden sammeln wollte, um etwas zurück zu geben. Er überholte mich beim Ablichten von Essen in so atemberaubender Geschwindigkeit, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. So oft die Beiden bei mir waren und Holger meine Rezepte ablichtete, sah ich ihm zu um zu lernen. Nur meinem Auge als Zeichner habe ich es zu verdanken seinen Blickwinkel zu entdecken und er förderte mich, schenkte mir eine erste gute Kamera, die ich liegen ließ, schenkte mir eine Zweite zum Geburtstag, die ich nun nicht mehr ignorieren konnte, holte mich jedes Wochenende ab, um lange Fotoausflüge zu machen, bis ich meinen eigenen Stil fand und eine neue Leidenschaft für mich fand.

Freilich war er noch lange nicht zufrieden, sondern organisierte Fotowalks mit ganzen Gruppen, suchte Locations, Modelle, entwickelte Ideen und dieses, obwohl er bereits Portale mit seinen Bildern bestückt hatte, die hier in Deutschland für Parteien genutzt wurden, zu Werbezwecken, als Cover für Schriftsteller wie Paulo Coelho dienten oder dutzendfach von Firmen in den USA verwendet werden, gegen Bezahlung versteht sich. Natürlich ist es ein weiter, harter Weg bis man von der Fotografie leben kann und er ist seiner Leidenschaft sich für Menschen einzusetzen treu geblieben, ob in seinem Beruf oder im Vorstand der Initiative für die er mit bei der Umsetzung eines Spendenkalenders geholfen hat, oder für Kinder Fotoveranstaltungen durchführt, um das gesammelte Geld an diese vergessenen Kinder weiter zu geben. Er ist also nicht nur ein großartiger Vater und brillanter Fotograf, sondern ebenfalls ein Mensch an dem man sich ruhigen Gewissens orientieren kann. 

Es grüßt Sie Ihr fotografierender Arno von Rosen, Buchautor, Kolumnist und Koch aus Leidenschaft, der diese Hommage an einen Freund schrieb, weil dieser viel zu bescheiden wäre, nur ein Wort über sich selbst zu verlieren. Danke, dass ich Dich ein Leben lang begleiten durfte. 

Bleiben Sie bereit für den Moment, wo Ihnen die Muse begegnet und halten Sie Ihre Leidenschaft fest!

Fotos: Holger Langmaier



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