Gastkolumne #Arno_von_Rosen: Wir wollen #Werbung!

 Arno von Rosen
Ach! Sie nicht? Sie schalten bei Werbung immer weg, gehen in die Küche oder aufs stille Örtchen. Warum? Wenn Sie sich nicht äußern möchten, ohne Ihren Reisekatalog kann ich das verstehen, aber Sie gestatten mir sicherlich ein paar Vermutungen oder? Vielen Dank. 

So ganz kann ich die Wegschalterei bei Werbeblöcken auch nicht leugnen. Allenfalls ein unbekannter Spot erregt noch meine Aufmerksamkeit für Sekunden oder bei "gefallen" auch bis zum Schluss. Selten schaue ich mir dieselben Verkaufsbotschaften mehrmals an, aber warum eigentlich? Ich drehe mal an der Zeitschraube und bin wieder ein Kind der 60er Jahre. Eben hat mir Clementine versprochen, dass ihr Waschmittel besser ist als alle anderen, der Cowboy am Feuer schlürft an einem heißen Becher Kaffee und hält genüsslich eine Zigarette zwischen den Fingern, während das Lagerfeuer romantisch vor sich hin prasselt und Tilly tunkt der gestressten Hausfrau die Finger in Spülmittel, weil das gleichzeitig schön macht. Ne, is klar. 

Da die 60er Generation zu den Geburtenreichen Jahrgängen in Deutschland gehört, sollten wir eigentlich eine sehr attraktive Zielgruppe für Marktforscher, Werbetreibende und Unternehmen sein, denn niemand verfügt über so viel frei verfügbares Geld wie unsere Altersgruppe, die 45 bis 55 jährigen. Natürlich wissen wir inzwischen das Spülmittel nicht wirklich gut für Haut und Nägel sind, so ziemlich jedes Waschmittel in Deutschland von nur zwei Firmen kommt und der coole Cowboy mit der Zigarette bereits vor Jahrzehnten an Lungenkrebs starb. Genau deswegen sind wir sehr kritisch, wenn uns etwas präsentiert wird, als ob man das Rad neu erfunden hat oder uns das Produkt von allen Sorgen befreien soll.

Ob Joghurt der uns im Schweinsgalopp auf die Toilette treiben soll, Wunderdrinks, die uns frischer, jünger und vor allem klüger werden lassen, Cremes, die selbst einer 70 jährigen die Falten aus den Fußsohlen zieht oder Autos, die uns Dank der modernsten Technik in eine bessere Zukunft bringen (nein, wir lassen das Thema VW heute mal aus). Und weil wir schon fast alles gesehen, gehört oder ignoriert haben,  was die TV-Verbraucherhinweise heute so auf uns nieder schmeißen, haben die Strategen der hoch bezahlten Werbebranche eine neue Methode ersonnen, den inzwischen dicht besiedelten Produktmarkt in Richtung Kundenbindung zu beackern.

Na gut, ich lasse die lahme Katze mal aus dem Sack. Es geht um den Werbefilm von Dingens, na Sie wissen schon, wo der alte Mann seinen eigenen Tod vortäuschen muss, um die undankbare Brut wenigstens noch einmal an Weihnachten zu sehen. Natürlich freuen sich alle tierisch, dass Opi nicht verstorben ist (zumindest bis das Erbe gerecht aufgeteilt wurde) und keiner ist böse, dass er oder sie extra mit dem Flugzeug anreisen musste, an Weihnachten, mit null billigen Tickets, die eigenen Urlaubspläne dabei kostenintensiv ins Wasser gefallen sind und man endlich den Menschen begegnet, denen sie das ganze Jahr über geschickt aus dem Weg gehen (sonst würden die sich doch alle treffen oder?). Lange Rede, gar kein Sinn, die Geschichte ist von vorne bis hinten rührselig und jeder normale Mensch angelt nach einem Tempo (die haben es geschafft die Golfklasse unter den Rotzfahnen zu werden – bravo), außer mir und vielleicht Ihnen, denn unrealistischer geht es kaum.

Ich lasse jetzt mal weg, was bei meiner Sippe los wäre, wenn hier Tode vorgetäuscht würden. Nur so viel, die Wahrscheinlichkeit, dass es doch noch eine Beerdigung geben könnte, stiege mit solchen Mätzchen rapide an. Jetzt frage ich Sie mal, denn Sie haben die Heulbotschaft des Unternehmens ja bestimmt schon gesehen, was Sie zuerst für ein Produkt vermutet hatten. Mir gingen da so Versicherungen, Fluglinien, Partnervermittlungen, Altenheime mit Spaßanbindung und verschiedenes mehr durch den Kopf, nur Edeka und Lebensmittel waren definitiv nicht dabei. Auf die Nachfrage, ob der Konzern den großen Unmut über den Spot verstehen könnte, kam die lächelnde Antwort prompt. "Wir sind mit der massenhaften Reaktion sehr zufrieden". Im Klartext – Man redet über uns, egal aus welchem Grund. 

Und das Bombardement (dies Wort habe ich nicht zufällig gewählt) der Werbeindustrie gerade zur Weihnachtszeit hämmert weiter auf unsere Nerven ein, gerne mit Prominenten, nur um doch noch alles an den Mann oder die Frau zu bringen, was bei Drei noch im Regal liegt. Mal unter uns. Glauben Sie wirklich, dass George Clooney Kapselkaffee trinkt oder Verona Dingens sich und ihren Kindern Billigklamotten anzieht? Eben!

Selbstverständlich habe ich keinen alten und guten Werbespot vergessen, deshalb bin ich brav real existierend und höchstpersönlich in den nächsten Fachmarkt meines Vertrauens geschlendert und habe mir Duracell Batterien gekauft, damit ich auch über die Feiertage alles wegzappen kann was meinen nervösen Sehnerv zum kollabieren bringen würde! 

Es grüßt Sie immer noch zappend und vollignorant, Ihr Arno von Rosen, Buchautor, Kolumnist, Koch aus Leidenschaft und trotzdem TV-Junkie – bleiben Sie besinnlich, bewegungsarm, lecker und frohe Weihnachten!

Fotos: Arno von Rosen

3 Kommentare:

  1. Bei Werbespots mit Bescheuertheitshintergrund kann ich in die Luft gehen wie das HB-Männchen...

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  2. Ich drücke bei Werbung wirklich immer weg, bzw. bin mittlerweile dazu übergegangen, mir vor allem "DVDs", bzw. werbefreies Material anzusehen. Was ist denn das für ein Spot, von dem Du schreibst?
    Was ich auf jeden Fall total unheimlich und grauslig finde, ist die Tatsache, dass via Produkt "Emotionen" versprochen werden. Markenhandtasche sorgt für Selbstwertgefühl, Parfum für göttliche Liebe/Sex und ein schnöder Joghurt für unbeschreibliche Ess-Extasen.
    Äh ... klar.

    Was auch supergut ist, wie ich finde: Werbung lautlos stellen und eigenen Text dazu ausdenken! ;)
    *hehe*

    Liebe Grüße

    Runa Phaino

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  3. Hallo Arno, ein toller Artikel! Du hast mich soo neugierig gemacht, dass Ich mir den Werbespot mit dem Opi auf Youtube angeschaut habe, weil ich meist auch Werbung nicht sehe, die ich noch nicht kenne ;-) Meine Reaktion? Die Botschaft hat wirklich nix mit Lebensmittel zu tun und unrealistisch ist sie natürlich auch, da bin ich ganz bei Dir! Dass das Ganze ziemlich geschmacklos daherkommt, ist auch klar! Ich habe mir allerdings die Reaktionen unter dem Video angeschaut und die waren doch weitgehend positiv, wenn sie überhaupt mit dem Video zu tun hatten, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hat sie den Leuten teilweise tatsächlich dazu gebracht, ihr Verhältnis zu ihren Lieben zu überdenken! Wenn sie deshalb tatsächlich dazu gebracht würden... Aber lassen wir das. Ob sie allerdings duch diese Werbung mehr bei diesem Lebensmittelmarkt einkaufen, bleibt fraglich! Ich habe jedenfalls momentan keine Zeit für die Glotze, meine Eltern sind schon angereist, damit wir alle zusammen ein paar schöne Tage verbringen können. Ach ja, morgen fahren wir noch einkaufen. Eigentlich hat besagter Markt ja ein ganz gutes Angebot... Nee, quatsch, E... meide ich zwar auch nicht, aber morgen gehen wir zu meinem Lieblingsdiscounter "Feinkost Albrecht". Aber so gehts halt, wenn etwas ins Gedächtnis gerufen wird... Auch Dir wunderschöne Weihnachten mit Deinen Lieben, Nessy von den happinessygirls.com

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