Gastkolumne: Arno von Rosen- Ware Mensch

Ostern steht vor der Tür. Im besten Falle verbringen wir die Feiertage mit Familie und Freunden. Wir sprechen, wir essen, wir spazieren, wir verbringen einfach gemeinsame Zeit miteinander, ohne Hast und Alltagssorgen. Vielleicht ist es aber auch eine Gelegenheit durch die Geschäfte zu ziehen, um zu kaufen, zu schenken, Party zu machen (sofern möglich) und dann geht diese Zeit an uns vorbei ohne mehr zu sein, als eines von vielen Wochenenden, nur eben ein wenig länger, sonst nichts.

Ich bin mit so ziemlich allen Religionen aufgewachsen, die man kennt und war als Sohn von ... sicher ein besserer Student, als einige andere,  die jene Kurse meines Vaters besuchten. Doch Religion bedeutet mir nichts, Jesus bedeutet mir nichts und Gott, ob nun bärtiger Greis oder weise Frau, sind Geschichten aus einer brutalen Zeit, ohne jegliches Mitgefühl, alleine denen vorbehalten, die das "Sagen" hatten, während der Rest der Menschheit ums Überleben kämpfte, meistens täglich. Jünger, Pilger, Weise, Erleuchtete oder Propheten zogen hinaus in die Welt, um das Wort zu verkünden, welches Frieden, Erlösung und Güte bringen sollte. Ich habe nichts gegen Religionen, sofern es den Menschen hilft,  besser ihren Alltag zu bestehen, doch hüte ich mich vor jenen, die Religion wie ein Moralschwert vor sich hertragen, um es mir vor Augen zu halten, damit ich ein Besserer werde als ich bin. Die Geschichte zeigt dennoch nur einen blutigen Pfad, sieht man mal von Randerscheinungen wie Ghandi und wenigen anderen ab. Jeder rechnet die Zivilisierung von einem anderen Zeitpunkt für sich. Die Einen beginnen vor 10.000en Jahren, die Anderen beginnen bei den alten Griechen, manche ab dem Mittelalter. Und ich?

Irgendetwas haben wir schon, aber eine Zivilisation nach den uns selbst genannten Maßstäben haben wir nicht. Noch nicht einen einzigen Tag lang. Sicher werde ich den Zeitpunkt auch niemals erleben, selbst, wenn ich alt würde wie Methusalem, doch will ich an der Oberfläche kratzen, egal wie sinnlos es erscheint, wie blutig die Finger, wie endlich mein Leben, meine Kraft oder meine Zuversicht sind. Je älter ich werde, desto offener werden meine Augen und ich sehe Armut. Bei alten Menschen, die auf Parkbänken sitzen, obwohl sie lieber in einem Café wären, Alleine in den letzten 10 Jahren hat sich diese Altersarmut mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei über 530000 Hartz IV Beziehern und unsere Jahrgänge kommen erst noch, mit gebrochenen Arbeitsleben, Jobwechseln, Umzügen, Lehr- und Leerzeiten. Es werden Millionen sein und Millionen werden ihnen ehrenamtlich helfen. Ehrenamt. Ein wundervoll bestialisches Wort, denn es gibt keine Ehre zu verdienen, wenn man denen hilft die Hilfe benötigen und es ist ebensowenig ein Amt, denn es gibt nichts zu verdienen, außer inneren Frieden, welcher stets von kurzer Dauer ist, denn in dem Moment, wo ich diese Tätigkeit unterbreche, geht das Elend ungebremst weiter.

Menschen werden mit Billiglöhnen ausgenutzt, denn sie müssen essen, wohnen, sich kleiden, wohlwissend oder ignorierend, dass auch 10 Euro Stundenlohn am Ende des Lebens Hartz IV bedeutet. Es existiert da draußen eine gigantische Armee zukünftiger Zukunftsloser, Aussichtsloser und Gesundheitsloser. Vielleicht stammt daher das war Loser (Verlierer), denn eigentlich haben sie nichts mehr zu verlieren. Wer jemals an diesem Punkt war nichts mehr zu verlieren zu haben, weiß, dass dieses absolute innere Leere bedeutet. Da ist kein Frieden mehr, kein Glauben und vor allem keine Liebe, auch nicht zu sich selbst. Und dann? Diese Menschen sind gefährdet und gefährlich zugleich, denn nach unserem Gesetz ist es verboten sich und andere zu verletzen oder gar zu töten. Dabei ist der Akt des Selbstmordes ein allerletztes Stück Freiheit, sofern wir niemanden sonst verletzen. Dies gilt natürlich in erster Linie bei unheilbaren Kranken, aber auch viele ältere Menschen sind des Lebens überdrüssig. Sie warten Tag für Tag auf den Moment, wo alles vorbei ist und sind doch so wertvoll, denn sie generieren Geld, sehr viel Geld, eine zukunftssichere Industrie mit atemberaubenden Wachstumsprognosen. Natürlich will fast niemand diese Alten, obwohl unser größtes Bestreben selbst ein hohes und vitales Alter ist. Die Jugend braucht nichts und wenn, sie hat Zeit, doch das Alter kostet, ist aber weder innovativ noch einträglich, es ist wie es ist. Zurzeit nutzlos.

Überall höre ich das ältere Menschen gebraucht werden. Ihr Wissen, ihre Zeit, vielleicht ihre Weisheit, aber gerne kostenfrei, denn wer gibt schon gerne Geld aus für Menschen die schon froh sind überhaupt noch einen Sinn im Leben zu erfüllen. Viele von uns werden nicht arbeiten bis sie 67 sind. Wir werden weit länger arbeiten, müssen. Klar, gerne ehrenamtlich. Nur macht diese Ehre nicht satt, nicht im eigentlichen Sinne, doch baut unser Staat auf diese Menschen, welche sich kostenlos in den Dienst der Gemeinschaft stellen, obwohl die allermeisten selber nicht viel haben, denn wer viel hat, besitzt eines auf gar keinen Fall. Zeit. Obwohl jeder in der Wirtschaft einen guten Grund vorweisen kann, warum er nicht kostenlos arbeiten kann, soll doch jeder normale Bürger gefälligst nicht so gierig sein, nicht mal bei seinem eigenen Tod, denn obwohl die Organverpflanzungen notwendig sind, tausende von Leben retten im Jahr und jeder Arzt und jedes Krankenhaus daran bestens verdienen, gehen die toten ehemaligen Beitragszahler völlig leer aus. Ja, sie haben dem Dienst des Lebens zu gehorchen, der Ehre, der Bescheidenheit und nicht zu vergessen, der Moral.

 Arno von Rosen
Es ist völlig unmoralisch für die Organe eines geliebten Menschen Geld zu nehmen oder seine eigenen zu spenden, um nach dem eigenen Tod seine Lieben versorgt zu wissen. Warum eigentlich? Wir sind doch eine Ware, immer und überall. Jeder behandelt uns so, jeder sieht uns so und natürlich werden wir nach Wert eingestuft und behandelt, doch eine tatsächliche Gewalt über unser Leben wird uns entzogen, von Geburt an bis zum sicheren Tod. Eine Patientenverfügung ist natürlich ein Mittel ein Leben zu beenden, das sowieso keines mehr ist und die einzige Möglichkeit uns dem Warenstrom zu entziehen. Will ich sterben? Nein, genauso wenig wie jeder von Euch, aber ich will mein Leben selbst bestimmen, immer und überall. Das gilt auch für jeden anderen Menschen auf der Welt, ob er es nun weiß oder nicht, er sollte frei sein, satt sein, geborgen und geliebt sein. Darüber denke ich dieser Tage nach und bin unendlich dankbar kostbare Stunden mit geliebten Menschen zusammen zu sein, für die ich immer alles geben würde, so, wie wir es für andere Menschen auch empfinden sollten, nicht weil es chic ist, oder gerne von Oben gesehen wird, sondern damit wir eines Tages keine Ware mehr sind, sondern eine gemeinsame Zivilisation.

Mein Zitat von heute stammt von Albert Schweitzer (1875-1965, Friedensnobelpreis 1952) "Wem eigene Schmerzen erspart bleiben, der muss sich aufgerufen fühlen, die Schmerzen anderer zu lindern."

Es grüßt Sie Ihr Arno von Rosen, Buchautor, Kolumnist, Blogger und dieser Tage sehr ruhig und nachdenklich. Schauen Sie nach allen Seiten und verschenken Sie ein bisschen Ihrer Zeit, es kostet weniger als Sie denken.

Foto: aus dem Bestand von Arno von Rosen





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