Nikolaos Maltezos: Vera hat mich verlassen - Erzählung

Nikolaos Maltezos: 
Vera hat mich verlassen. Und das wie ich immer noch finde unter dem Vorwand einer fadenscheinigen Begründung. Sie sagte metastasierter Brustkrebs. Leber befallen, Knochen befallen; später auch das rechte Auge. Sie konnte mich nur schemenhaft sehen, was letzteres nicht unbedingt ein Nachteil ist. Auf einmal war sie Puff, weg. Nicht mehr da. Einfach weg.

Mit Vera war ich dreißig Jahre zusammen, was in meinem Alter ziemlich viel ist und in der heutigen schnelllebigen Zeiten eine Ewigkeit. Ich muss bis zum meinem sechzigsten Lebensjahr warten, damit sagen, die Hälfte meines Lebens hab ich mit ihr verbracht.

Tja, wie geht man mit so einer Nachricht um? Ich weiß es immer noch nicht. Hab’s mit alternativen Fakten versucht, mit dem ersten Gesetz der Thermodynamik. In einem geschlossenen System und das Universum ist ja eins, geht keine Energie verloren, es nimmt nur eine andere Form an. Eigentlich ist sie nicht weg. Sie hat nur eine andere Form angenommen. Irgendwie hab ich das nicht geschafft. Fakenews womöglich ? Es ist ja mittlerweile gute Sitte, etwas zu verbreiten, das offensichtlich nicht stimmt und diesem Zeitgeist wollte ich mich nur allzugern nicht verschließen. Sie wird jeden Moment durch die Tür kommen, mich anlächeln und alles wird gut. Aber ich warte und warte und warte.......

Abgesehen davon muss eine Nachricht wie diese auch noch mitgeteilt werden! Aber wie sag’s ich der Mutter, wie dem Vater, wie der Geschwister siebenköpfiger Schar? Es gibt keinen richtigen Weg. Sächsisch wäre so eine Möglichkeit: "Vera iss tödd". 

Also stand ich da.

Was machscht mit so nem angebrochenem Leben?

Was machscht?

Was?

Ich hab mich wie ein brachliegender Nerv gefühlt. Jeder Reiz löste Schmerz aus. So ähnlich wie in "Der Marathon-Mann" mit Dustin Hofmann. Ausgesetzt dem Gutdünken von Dr. Mengele. Kleiner funfact. Technisch betrachtet ist das nicht der schlimmste Schmerz, den ein Mensch erfahren kann. Das ist Verbrennen. Für mich hat es sich genauso schlimm angefühlt. Der Schmerz war so überwältigend, dass ich jeden Morgen geweint habe. Eigentlich geheult. Wie ein kleines Kind. Jeden Morgen. Jeden Abend habe ich mich in den Schlaf geheult. Einen ganzen Sommer über. Meine Tränen hätten Weltmeere füllen können. Persönlich habe ich die Pegelstände nicht überprüft, weshalb ich mich für die Hochwasserkatastrophen besagten Jahres aufrichtig entschuldigen möchte. Andererseits nehme ich für Normalstände auch eure Dankbarkeit entgegen. Ansonsten ist zu sagen, Holland ist noch da.

Eine Menge Fragen drängten sich auf. So die Frage nach dem Leben. Nach seinem Sinn. Und natürlich die Frage nach dem Tod. Essentielle Fragen. Und komische Fragen, auf die man womöglich nie eine befriedigende Antwort bekommt. Wenn der Tag der Geburt inklusive Jahr und oder Quersumme des Geburtsdatums eine so überragende Bedeutung für einen Menschen hat bzw. prägend ist, welche Bedeutung hat der Tag unseres Todes? Denn Vera starb an nicht irgendeinen Tag. Nein. Das wäre ja auch zu einfach. Es gibt nicht sehr viele Datum (was ist die Mehrzahl hiervon. Daten womöglich? Zu missverständlich). Nein es müssten die Iden des März sein. Für meine legasthenischen Freunde, das war der Tag an dem Cäsar gemeuchelt wurde. Der fünfzehnte März. Das musst doch eine Bedeutung haben. Irgendeine. Nur welche? Ich komme einfach nicht drauf. Bin aber jedem Erklärungsversuch aufgeschlossen.

Und natürlich drängen sich auch die Klassiker auf. Wie will ich weiter leben? Was ist der Sinn des Lebens? Warum lässt Gott  das zu? Gibt es womöglich keinen oder einen Gott? Wer weißt das schon. Ich am allerwenigsten. Ich bewundere Menschen, die eine Antwort auf diese Frage gefunden haben, denn man kann sein Leben danach ausrichten. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es eigentlich nicht darauf ankommt, denn es ändert sich für mich persönlich nichts. Egal ob es ihn gibt oder nicht will ich loyal zu meinen Freunden stehen, hingebungsvoll zu meiner Familie sein und das Gute mehren. Dafür brauche ich keinen Gott. Vor allem keinen der andauernd schweigt. 

Wie will ich weiterleben? Besonders in meinem Fall. Solange Vera da war, wollte ich nur alt mit ihr werden. Das hat mir immer gereicht. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Ihr bezauberndes Lächeln zu sehen, war genug mir alle Ängste zu nehmen. Wenigstens das hätte sie mir lassen können. Aber so sind halt Frauen, wenn sie einen verlassen. Sie hinterlassen verbrannte Erde. Stellt sich immer noch die Frage, wie will ich weiterleben, was will ich machen? Und noch wichtiger finde ich, wie will ich sterben? Auch wenn wir insgeheim danach trachten, so ist uns Unsterblichkeit nicht vergönnt. Aber was bedeutet Unsterblichkeit? Doch nicht, dass wir ewig weiterleben. Bis zum Ende aller Zeiten. Eigentlich bedeutet es nur, dass alles was wir lieben, um uns herum stirbt. Wollen wir das wirklich. Können wir das alles aushalten? Können wir überhaupt erahnen wieviele Sekunden die Ewigkeit andauert? Mir würde es schon genügen mit der Unsterblichkeit ab und zu einen Kaffee zu trinken und sich nett dabei zu unterhalten. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Nicht Ertrinken wäre schon mal gut und nicht im Krankenhaus. Falls es mal soweit kommen sollte, karrt mich da bitte raus. Einfach auf die Straße. Von mir aus gleich neben den Mülleimer Alles ist besser als das Krankenhaus.

Hoffentlich sind die Götter so gnädig und ich darf den Heldentod sterben. Ihr kennt das ja. 90-zig jährig mit der filterlosen Zigarette im Mundwinkel, der Pulle Selbstgebrannten in der Hand zwischen den Schenkeln zwei 18-jährigen jungfräulichen Prostituierten. Da bekommen die Worte "Oh, Gott. Ich komme" doch erst ihre eigentliche Bedeutung. Spaß beiseite. Nicht allein wäre schön, am schönsten in den Armen einer mich liebenden Frau, während mein Blick über das Meer schweift. Wäre wünschenswert. Schön wäre auch, wenn auf meiner Beerdigung auf einen Pfarrer verzichtet werden könnte. Mittlerweile sollte es sich herumgesprochen haben, dass ich es mit Deschner halte: "genau so wenig man die Liebe den Prostituierten anvertrauen darf, genauso wenig Religion den Pfaffen". Wäre schön wenn man den Grill anschmeißt, ordentlich Fleisch drauf, viel zu viel trinken und mein Leben feiert, mehr als meinem Tod zu bedauern. Es darf auch Hehlerware verkauft werden. Eingeweihte sollten hier Family Business erkannt haben.

Is grad kein schönes Thema. - Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Aber wir sterben ja alle und was danach kommt, wer weiß das. Seit Lazarus Auferstehung gibt es keine gefestigte Erkenntnisse. Eigentlich ist die Auferstehung auch nicht repliziert worden, weshalb man davon ausgehen kann, dass es sich um ein einmaliges singuläres Ereignis im Leben eines jeden handelt, was wiederum bedeutet, der Tod ist der Regelfall. 

Tja was machscht?

Zumal der Bestatter zu mir sagte, erfahrungsgemäß leben Partner nach dem Ableben des einen statistisch betrachtet drei bis fünf Jahre weiter und mittlerweile sind ca. zwei Jahre vorbei.

Ich hab mich zunächst einer Ernährungsberaterin zugewandt. Hab meine Ernährung umgestellt. Das ganze läuft unter dem Motto "gesünder Sterben". Dabei habe ich festgestellt, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Ernährung mittlerweile religiöse Züge angenommen hat. Die Argumente sind dabei immer die gleichen. Man füllt sich gesünder, vitaler und der Sex ist besser. Teilweise hört man sogar, das Sperma besser schmecken soll, süßlicher; nicht so salzig halt. Nun wie man zu dieser Feststellung gelangt, ist mir vollkommen schleierhaft. Und festgestellt habe ich auch, dass das Bekenntnis zum Veganismus bzw. Vegetarismus Ausdruck eines faschistoiden Grundbekenntnisses ist. Einer der Gründe für die Abkehr von Fleisch ist ja die Aussage, dass es moralisch nicht vertretbar sei, Tiere zu töten, weil sie ein Bewusstsein und einhergehend eine Seele haben. Wer sagt uns, dass es bei Pflanzen nicht der Fall sei? Nur weil sie uns nicht anschauen?

Und ich bürdete dem Buckel des weißen Wales den Hass und den Zorn der ganzen Menschheit auf. Wäre mein Körper eine Kanone gewesen, ich hätte mein Herz auf ihm zerschossen. Leider fand meine Wut nicht so poetisch Ausdruck. Ich fluche ja nicht oft. Eher selten. Eigentlich nie und auf deutsch schon gar nicht. Aber da konnte ich einfach nicht und und es sprudelte geysirartig aus mir heraus "Die Schlampe hat mich verlassen", um ehrlich zu sein war es nicht richtig deutsch. Es war Neudeutsch: "die Bitch. Die Bitch hat mich verlassen". Ich hatte mich die ganze Zeit aufopferungsvoll um sie gekümmert. Ihr all die kleinen und großen Gefallen getan (und es waren nicht wenige), die sie von mir forderte, so schwer auch sie mir vorkamen und dann stirbt sie mir einfach weg. Puff. Nicht mehr da. Wie konnte sie bloß. Dieses egoistische Miststück! War jetzt ungerecht von mir. Womöglich eine kosmische Verschwörung. Das Universum hat sich gegen mich aufgelehnt. Und sie hat bereitwillig die Hauptrolle darin übernommen, wahrscheinlich auch nur deshalb, weil ich es manchmal versäumt habe, mir die Hände zu waschen, bevor ich mich an den Mittagstisch setzte. Vielleicht habe ich auch den Klodeckel mal nicht runtergeklappt. Die Ermittlungen laufen noch. 

Ich hatte Glück. In meiner schwärzesten Stunde waren meine Freunde und Familie da und haben mich aufgefangen und aufgerichtet. Nichtsdestotrotz gab es einige, sagen wir mal Stilblüten, die ich weder verstehe noch denke, dass man trauernden Menschen sagen sollte. Sie sind wahrlich kein Trost. Und wie so oft im Leben, da ich ja alles in Kategorien und Hitlisten einordne, meine Top drei aus der Kategorie "alles was man jemanden nicht sagen sollte, der gerade trauert" bzw. "Trauer-No-Gos. Nr. 3".   "Du musst dir eine neue Frau suchen und heiraten." "Heeeee????" Ich vergebe ja nicht oft abfällige Urteile über andere Menschen. Das abfälligste ist für mich "hat den Witz nicht verstanden". Was wollte man mir bloß damit sagen? Ich war bis eben mit der besten aller Ehefrauen dreißig Jahre zusammen. Und natürlich gilt auch für mich das Wilde´sche Gesetz. Oscar Wilde hatte ja formuliert, dass in solchen Situationen Männer, die in ihrer Ehe glücklich waren, wieder heiraten. Glückliche Frauen jedoch nicht. Aufgrund meiner bescheidenen Beobachtungen kann ich sagen, dass dieses Gesetz ausnahmslos gilt. Ich finde das so faszinierend. Worauf sich dieser Umstand stützt, kann ich jedoch nicht sagen. Interessant ist er allemal. Außerdem, so habe ich mir sagen lassen, sei dieser Ausdruck extrem frauenfeindlich. Zu Frauen werde so etwas nicht gesagt. Es gäbe insgeheim eine Erwartungshaltung, dass die Frau lebenslang um ihren Ehemann trauern solle. Ich gehe davon aus, dass sich diese Leute auch insgeheim indische Verhältnisse wünschen als die Witwe noch mit ihrem verstorbenen Ehemann auf den Scheiterhaufen verbrannt wurde. Naja, an dem Punkt hätte ich gerne die Feminismusdebatte verfolgt.

Nr. 2 "Dich kriegen wir schon noch erwachsen". Auch so einen Satz, den ich gehört habe, zwar nur einmal aber immerhin und für den ich ja so gar kein Verständnis aufbringen kann. Ich weiß, ich habe ein kindliches Gemüt, an dem ich hart arbeite, um es mir zu erhalten. Erwachsen werden, ist hierbei nicht vorgesehen. Es mag sein sein, dass ich das Kindische ablegen werde, das Kindliche jedoch nie. Bitte erschießt mich vorher. Außerdem bewahrt mich das ständige Pubertieren vor der midlife-crisis. Witzig hingegen fand ich die Aussage, mich aus dem Tal der Trauer herauszuführen, wäre ein göttlicher Auftrag. Auch das habe ich gehört. Jaaaa. Kleiner Annex am Rande. Ich glaube ja, dass wenn ein Mann seine Partnerin überlebt, irgendetwas freigesetzt wird, dass Frauen auf einen aufmerksam macht. Ich kann es nicht genau benennen, aber es scheint irgendein Hormon zu sein. Frauen spüren das und nehmen die Witterung auf ähnlich wie Raubkatzen. Das kann ich aus eigener Erfahrung berichten. Auf einmal wurden Frauen auf mich aufmerksam, richtige Hammerbräute könnte man sagen. Vielleicht war es auch nur Neugier: Ohhhh er hat seine Frau überlebt. Und schwups kamen sie. Ihr merkt es schon, der Satz kam von einer weiblichen Person. "Ohhh ein göttlicher Auftrag. On a mission of God." Hört sich schon ambitioniert an. Ich bin wichtig. Eigentlich bin ich ja bei solchen Aussagen eher skeptisch. Dann blinken immer Warnzeichen im Kopf auf. Religiöse Hysterie Fragezeichen. Da erwachen meine Spinnensinne und in meinem Kopf leuchten die Warnlampen. So ungefähr muss es in Tchernobyl gelaufen sein. Blink blink blink. 

Aber ich kann euch sagen, wenn jemand jemals zu euch sagt, ihr wärt ein göttlicher Auftrag, dann lehnt euch zurück und geniest die Show. Das hab ich gemacht und es war herrlich.

Nr. 1 Dieser Satz hat es tatsächlich geschafft, meine bisher verhassten Satz abzulösen. Er stand seit dem 11ten September 2001 unangefochten an der Spitze meiner verhassten Sätze. Einige mögen sich an den Satz erinnern: "Ab heute ist die Welt nicht mehr die gleiche". Gott was hat man uns mit ihm zugetextet. "Ab heute ist die Welt nicht mehr dir gleiche" oder war es die "selbe?" ich verwechsle das immer. Aber egal. Mantraartig hat man uns diesen serviert. Und das schlimmste von allen war ja, das er eben nicht von der Bildzeitung kam. Nein das war der Kommentar im öffentlichen-rechtlichen Fernsehen. Was für ein Schwachsinn. Die Welt ist nie die gleiche oder die selbe. Schon während ich diesen Satz beende, wird sie eine andere sein. Und ich wollte eigentlich nur Star-Trek TNG schauen, die leider für eine Woche abgesetzt wurde. Aber der Satz, den ich seit den Tod Vera’s nicht mehr hören kann und auch nicht will ist:"Das Leben geht weiter". Dieser Satz, so hat es ein Kollege mal ausgedrückt, fällt in die Kategorie"So jung kommen wir nicht wieder zusammen". Warum fiel es den Menschen so schwer zu sagen, was sie stattdessen meinten, es aber nicht sagen konnten oder wollten und lieber auf diese eine Plattitüde verfielen "das Leben geht weiter"? Warum konnten sie nicht sagen: Es tut mir Leid? Ich kann deinen Schmerz nicht nur nicht nachempfinden, ich kann ihn dir auch nicht nehmen. Ich bin angesichts deines Leids machtlos. Aber ich will hier an deiner Seite sein, dir zuhören und mit dir weinen, wenn’s sein muss. Man hätte es auch wie die Griechen sagen können: Komm her und setzt dich, ich mach dir was zu essen, das wärmt deine Seele und du erzählst über Vera. Wir trinken was dabei und ich hör dir zu. 

Aber nein, stattdessen stupide "Das Leben geht weiter."

Was für ein Mist. Natürlich geht das Leben weiter. Das hat niemand bezweifelt und auch nicht in Abrede gestellt. Ich am allerwenigsten. Ich hätte es nur gern gehabt, wenn es für einen spürbaren Moment angehalten hätte. Ihr zu Liebe, denn sie war ein besonderer Mensch. Stattdessen drehte sich diese Scheisserde weiter und weiter, so als wäre nichts geschehen. On an on and on. Und mir wurde nur schwindelig dabei. Und ich weiß nicht, was schlimmer war; dieser Satz kam immer auf Hochdeutsch. Auf Hochdeutsch. Wir leben hier in Hessen. Der Satz ist allgemeines Kulturgut seit den Tagen des großen Lokalphilosophen Dragoslav Stepanovic. Der Satz hat im korrektem Hessisch mit serbisch-kroatischen Anschlag zu lauten: "Lebbe gehd weider". Man sagt in Köln auch nicht " Es kommt wie es kommt" sondern "Es kütt wie es kütt. In Bayern heißt es "Mir soan Mir". Da kommt niemand auf die Idee, sowas auf Hochdeutsch auszusprechen, weil ihm der Missmut, die Missgunst und die Verachtung gleich um die Ohren fliegen würden und das völlig zurecht. Vollkommen zurecht. Man kann nicht Integration von Nichtdeutschen einfordern und dann die eigene Sprache und Kultur so vergewaltigen. Aber so politisch wollte ich jetzt nicht werden. Nichtsdestotrotz, fordere ich den Ausschluss Hessens aus dem bundesföderalistischen Verbund, sodass in solchen Fällen die Anwendung des Artikels 21 Absatz 1 Satz 2 der Hessischen Verfassung Anwendung finden kann.

"Lebbe gehd weider." Auch für mich ging’s weiter. Und ich stand da mit einem angebrochenem Leben und einem zersplitterten Herzen und ohne Kompass. Und Stück für Stück komme ich in einem Leben an, dass ich schon immer leben wollte. Ausgenommen die Nutten, die Parties, das Koks und die schnellen Autos. Dafür aber mit vielen neuen Weggefährten, neuen Einflüssen und neuen Erfahrungen. So habe ich zum Beispiel gelernt, dass es Menschen gibt, die sagen wir mal "Das Schweigen der Lämmer" nie gesehen haben. Darüber kann ich noch hinwegsehen. Aber sie haben auch "Wall-E" nicht gesehen. Das strapaziert meine Toleranz. 

Ich hab mir eine Gitarre zugelegt und von Zeit zu Zeit nehme ich sie in die Hand und klimpere darauf. Das macht Spaß, vor allem wenn ich auch bescheidenste Erfolge verzeichnen kann. So ist es mir in kürzester Zeit gelungen, die Lehren von Schönberg’s atonaler Musik zu verinnerlichen. Für Nichteingeweihte: Es geht hierbei, um die Auflösung der dur-moll-Modalität. Ich bin einen Schritt weiter gegangen und habe diese Theorie um das Prinzip der Arythmik bereichert. Das wird bestimmt einschlagen. Gut man könnte auch sagen, ich produziere Krach. Das kommt der Wahrheit auch ziemlich nah. Spaß macht es trotzdem. Tja und dann kam Polly. Zugegeben eine ziemlich mittelmäßige Screwball-Komödie mit Jennifer Aniston und Ben Stiller. Er war ein ziemlich abgewrackter Typ, nachdem ihn seine Frau mit dem Surflehrer während der Hochzeitsreise betrogen hatten, was ich mir gewünscht hätte, aber dem nicht so war und sie eine naja etwas unkonventionelle Person, die es halt schafft, in ihm die Lebenslust zu wecken und Ben am Ende es doch gelingt sein wahres Ich zu erkennen und zu akzeptieren. Aber so ungefähr war die Situation. Ich war Ben, ziemlich am Boden und Polly sprach die Sprache der Gefühle. Das berührte mich. Es war fast wie eine Inkarnation von Vera. Irgendwie anders, aber doch mit vielen Gemeinsamkeiten. Abgesehen vom Lächeln. Im modernen Sprachgebrauch würde man sagen Vera 2.0. Sie kehrte mein Innerstes heraus und es fühlte sich gut an. Ich brachte sie zum Lächeln. Nebenbei gesagt, meine einzig wahre Superkraft.

Und es kam wie es kommen musste. Aus Sympathie entsteht Neigung. Aus Neigung Zuneigung. Und ich stand da und fragte mich, ob sich auf eine neue oder eben diese Beziehung einzulassen nicht doch ein Fehler wäre. Mag sein. Das Leben ist ja schon mal komisch. Manchmal bekommt man im Leben nur einmal die Gelegenheit einen bestimmten Fehler zu machen. Ich meine dann sollte man ihn auch voll auskosten. Und ja, wir landeten im Bett. Nicht so ein Bett, wo denkt ihr hin. Das Bett in Frankfurt. Eventlocation. Wir waren tanzen. Zu mehr wäre ich auch nicht fähig gewesen. Immerzu ploppte Vera vor meinem geistigen Auge auf. Und ich fühlte mich wie Brutus mit dem Kurzschwert voll mit Cäsers Blut. V E R R A T. Wie konnte ich nur. 

Was noch kommen wird, kann ich nicht sagen. Aber das ist auch gut so. Es ist tröstend, wenn die Zukunft ungeschrieben ist wie leeres Blatt Papier. Man kann darauf alles Mögliche zeichnen und die Grenzen der Unmöglichkeit selbst bestimmen

Und die Moral von der Geschicht? Wie ein Kommilitone bereits sagte: "Gibt es nicht. Gibt es nicht"

Nikolaos Maltezos:

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